Dürfen Lehrveranstaltungen oder mündliche Prüfungen aufgezeichnet werden?
Manfred Büchele, Lars Kerbler, Florian Hueter
Nein! Ohne die Einwilligung der Vortragenden ist die Aufzeichnung auf Bild- oder Tonträger nicht gestattet.
Ohne Zustimmung der Vortragenden ist die Aufzeichnung aufgrund des Rechts am eigenen Wort unzulässig. Neben diesem Persönlichkeitsrecht können jedoch auch Urheber- und Leistungsschutzrechte betroffen sein: Inhalte von Lehrveranstaltungen oder Prüfungen sind oftmals urheberrechtlich schutzfähige Sprachwerke, die vorgetragen auch als Darbietung geschützt sind. Üblicherweise verletzt
- die Aufzeichnung das Vervielfältigungsrecht, und
- die Weitergabe der Aufzeichnung das Verbreitungs- oder Zurverfügungstellungsrecht des Vortragenden als Urheber und Darbietender.
Persönlichkeitsrechtlicher Schutz
Als zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht1 schützt das Recht am eigenen (gesprochenen) Wort die individuelle, persönliche Stimme. Damit greift die Aufzeichnung der Stimme einer Person ohne deren Zustimmung in dieses Recht ein, womit eine solche Aufnahme rechtswidrig ist. In gerechtfertigten Einzelfällen bestehen zwar Ausnahmen vom Recht am eigenen Wort,2 solche kommen für die Aufnahme von Lehrveranstaltungen und Prüfungen jedoch nicht in Frage.3
Schutz als Sprachwerk
Als individuelle sprachliche Schöpfungen sind Lehrveranstaltungen und Prüfungen regelmäßig Sprachwerke.4 Eine Verschriftlichung dieser Werke ist nicht Voraussetzung für den urheberrechtlichen Schutz – damit sind Lehrveranstaltungen, Prüfungen, Vorträge, Ansprachen oder ähnliche Sprachwerke5 urheberrechtlich schutzfähig.6
Werden Lehrveranstaltungen und Prüfungen mitgeschrieben, so ist dies zulässig, sofern die Niederschrift zum eigenen Gebrauch angefertigt wird.7 Die Aufnahme als Ton- oder Videomitschnitt mag zwar zu privaten Zwecken zulässig sein, scheitert aber am o.a. Recht am eigenen Wort sowie am Schutz der Darbietung (siehe sogleich).
Schutz als Darbietung
Vortragende und sonstige Akteure mündlicher Prüfungen vermitteln der Außenwelt in der Regel Werke der Literatur und sind somit ausübende Künstler. Ihre Darbietungen sind selbstständig mittels Leistungsschutzrecht geschützt.8 Die dargebotenen Inhalte müssen dafür zwar grundsätzlich urheberrechtlich schutzfähig sein, ein aufrechter Schutz ist hingegen nicht erforderlich.910
Als ausübende Künstler haben Vortragende insbesondere das Recht, im Zusammenhang mit ihren Darbietungen genannt zu werden und ihre Darbietung zu verwerten.11 So sind sie berechtigt, ihre Darbietungen auf Bild- und Tonträgern festzuhalten, diese zu kopieren, zu verbreiten und öffentlich zur Verfügung zu stellen.12 Da bereits das Aufnehmen der Darbietungen den ausübenden Künstlern vorbehalten ist, ist die Einholung ihrer Zustimmung zur Aufzeichnung unumgänglich; andernfalls tätigt der Aufnehmende einen unzulässigen Eingriff. Für die unmittelbare Aufnahme einer Darbietung besteht keine freie Nutzungsmöglichkeit, auch wenn sie für den urheberrechtlichen Gehalt des Sprachwerks existiert.
Zu den möglichen Rechtsfolgen eines unrechtmäßigen Eingriffs siehe: Welche Rechtsfolgen sieht das Urheberrecht vor?
Beispiel
Eine „Spy Clock“ dient der unbemerkten audiovisuellen Aufnahme der Geschehnisse in ihrer Reichweite. Benutzt sie ein Prüfungskandidat zur Aufnahme einer Prüfung und der danach stattfindenden Beratungen der Prüfer, greift er in die Leistungsschutz- und Persönlichkeitsrechte der Beteiligten ein. Zur Entscheidung über die Aufzeichnung und Vervielfältigung der Prüfungssituation sind ausschließlich diese Beteiligten berechtigt.13
Fußnoten
- Siehe § 16 ABGB.
- Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 (2017) § 16 Rz 21.
- Vgl auch RIS-Justiz RS0103010, zuletzt OGH 27.09.2001, 6 Ob 190/01m, RdW 2002/289, 285
- Zu den unterschiedlichen Werkkategorien siehe: Was ist urheberrechtlich geschützt?
- Zu den unterschiedlichen Werkkategorien siehe: Was ist urheberrechtlich geschützt?
- G. Korn in Kucsko/Handig, urheber.recht² (2017) § 2 Rz 6.
- Siehe Können geschützte Werke ohne Zustimmung des Berechtigten genutzt werden?
- Siehe Was ist leistungsschutzrechtlich geschützt?
- Damit genießen beispielsweise auch Darbietungen gemeinfreier Werke Schutz. Vgl. dazu Was ist Gemeinfreiheit?
- Vgl. Albrecht in Kucsko/Handig, urheber.recht² (2017) § 66 Rz 14 ff.
- Vgl. Welche Möglichkeiten bestehen, um ein Werk wirtschaftlich zu nutzen?
- Siehe § 68 UrhG.
- Vgl. etwa http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/wecker-mit-kamera-jura-student-filmte-pruefung-mit-spy-clock-a-966114.html (zuletzt abgerufen am 14.11.2022).