Welche Folgen hat die Bekanntmachung eines Werks?

Manfred Büchele, Lars Kerbler

 

Das Urheberrechtsgesetz („UrhG“) unterscheidet zwischen der Veröffentlichung und dem Erscheinen eines Werks. Die Veröffentlichung tritt ein, sobald das Werk der Öffentlichkeit zugänglich wird. Ein Werk ist aber erst dann erschienen, wenn es mit Einwilligung eines Berechtigten in größerer Stückzahl in Verkehr gebracht worden ist.

Beispiel
Mit dem Kinostart eines Filmwerks wird dieses veröffentlicht. Sobald dasselbe Filmwerk mit Einwilligung der Urheber erstmalig als Blu-Ray-Disc im Handel verkauft oder zum Download angeboten wird, ist es erschienen.

Manche Verwertungsrechte und freie Werknutzungen entstehen oder erlöschen mit der Veröffentlichung oder mit dem Erscheinen des Werks: Grundsätzlich entsteht das Zitatrecht mit Veröffentlichung, das Recht zur ersten Inhaltsangabe erlischt damit.

Der Zeitpunkt des Erscheinens oder der Veröffentlichung kann für urheber- oder leistungsschutzrechtliche Schutzfristen ausschlaggebend sein; schließlich ist das Erscheinen auch maßgeblich für die gesetzliche Vermutung der Urheberschaft.

Veröffentlichung und Erscheinen

Veröffentlichung und Erscheinen sind zwei urheberrechtlich relevante Vorgänge, die sich gleichzeitig oder getrennt voneinander verwirklichen können, die aber auch unterschiedliche Rechtswirkungen mit sich bringen. Unveröffentlichte Werke werden mit dem Erscheinen gleichzeitig veröffentlicht; das Erscheinen bringt also jedenfalls die Veröffentlichung mit sich.

Mit dem Erscheinen erlangt die Allgemeinheit Konsumptionsmöglichkeiten, die wesentlich weiter reichen als jene, die mit der Veröffentlichung entstehen. Während das breite Publikum veröffentlichte Werke üblicherweise in einer Abhängigkeit (Leihe aus Bibliotheken, Vorführung im Kino oder Aufführung im Konzertsaal) konsumiert, gelangen Exemplare erschienener Werke in den jeweiligen Verantwortungsbereich der einzelnen Werknutzer: Sie lesen das erworbene Buch wann und wo sie möchten; zu denselben Bedingungen sehen sie sich den Film aus der Online-Mediathek an. Im Ergebnis können sie sich das Werkstück mit nach Hause nehmen und es dort autonom konsumieren.

Da der Urheber sein Werk mit dem Erscheinen weiter aus seiner eigenen Sphäre entlässt als durch eine bloße Veröffentlichung, sieht das UrhG für erschienene Werke zum Teil andere Möglichkeiten zur freien Werknutzung vor, beispielsweise für Zitate1.

Die Veröffentlichung eines Werks

§ 8 UrhG sieht vor: „Ein Werk ist veröffentlicht, sobald es mit Einwilligung des Berechtigten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.“

Ein Werk2 wird im Sinne dieser Bestimmung dann veröffentlicht, wenn es seinen Weg zur Allgemeinheit antritt, es also einem breiten Publikum3 wahrnehmbar gemacht wird. Auch eigenständig urheberrechtlich geschützte Werkteile4 oder Bearbeitungen5 können veröffentlicht werden.6 Die Veröffentlichung ist ein einmaliger, nicht umkehr- oder wiederholbarer Akt7 – in anderen Worten: Was einmal veröffentlicht ist, bleibt veröffentlicht.

Siehe

Rechtswirkungen der Veröffentlichung

Die Veröffentlichung eines Werks ist Voraussetzung für unterschiedliche freie Werknutzungen8:

  • Veröffentlichte, aber vergriffene oder noch nicht erschienene Werke dürfen in Sammlungen vervielfältigt und auf bestimmte Arten genutzt werden;
  • das Zitatrecht9 betrifft zumindest veröffentlichte Werke;
  • ebenso die freie, öffentliche Zurverfügungstellung für Unterricht und Lehre an Schulen, Universitäten und an anderen Bildungseinrichtungen;
  • veröffentlichte Werke der bildenden Kunst dürfen zur Nutzung in Versteigerungs- und Verkaufskatalogen kopiert, verbreitet und öffentlich zur Verfügung gestellt werden, sofern damit Werkstücke des konkreten Werks beworben werden;
  • veröffentlichte, auf Bild- und Schallträgern festgehaltene Werke dürfen zugunsten von Medienarchiven10 des Bundes kopiert und diesen überlassen werden.
  • Im Rahmen der Nutzung verwaister Werke11 durch Sammlungen.

In einzelnen Fällen ist die Veröffentlichung maßgeblicher Anknüpfungspunkt für den Lauf urheber- oder leistungsschutzrechtlicher Schutzfristen:

  • Die Schutzfrist anonymer oder pseudonymer (Teil-)Werke wird durch Veröffentlichung auf 70 Jahre ab Ablauf des Veröffentlichungsjahres verlängert;
  • wird die Aufzeichnung einer Darbietung veröffentlicht, so verlängert sich der Schutz des Veranstalters auf 50 Jahre nach Ablauf des Veröffentlichungsjahres;
  • wird ein Licht- oder Laufbild veröffentlicht, so erlischt das Schutzrecht des Herstellers erst 50 Jahre nach Ablauf des Veröffentlichungsjahres;
  • das Schutzrecht an veröffentlichten Datenbanken erlischt 15 Jahre nach Ablauf des jeweiligen Veröffentlichungsjahres.

Siehe zu den Schutzfristen: Wann endet der Urheberschutz?

Das Erscheinen eines Werks

Im Unterschied zur Veröffentlichung ist ein Werk erschienen, sobald mit Einwilligung des Berechtigten „Werkstücke in genügender Anzahl feilgehalten oder in Verkehr gebracht worden sind12. Werkstücke werden allerdings dann nicht in genügender Anzahl feilgehalten oder in Verkehr gebracht, wenn ein Online-Zurverfügungstellen im Internet erfolgt.

Beispiel
Die deutsche Erstauflage des vierten Bandes der Harry Potter-Reihe mit einem Umfang von 1.000.000 Exemplaren ist am Erstverkaufstag erschienen. Im Gegensatz dazu erscheint eine in 3-facher Ausführung eingereichte und sodann nur in Bibliotheken zugängliche Dissertation nicht, sie ist damit aber veröffentlicht.

Rechtswirkungen des Erscheinens

Mit dem Erscheinen eines Werks wird derjenige als Urheber des Werks vermutet, der auf den in Verkehr gebrachten Werkstücken in üblicher Weise als Urheber bezeichnet wurde.

Der Urheber erwirbt nach 20 Jahren ab Ende des Erscheinungsjahres jedenfalls das Recht, sein Werk der Literatur oder der Tonkunst im Rahmen einer Gesamtausgabe zu verwerten. Erscheint ein Werk der Tonkunst mit Zustimmung des Berechtigten13 auf Schallträgern, so hat dieser auch anderen Herstellern von Schallträgern dieselbe Verwertung im Rahmen einer Zwangslizenz zu gestatten.

Räumt der Urheber eines Beitrags zu einer Sammlung14 dem Herausgeber oder Verleger dieser Sammlung ein Werknutzungsrecht15 über den Beitrag ein, erlischt das Recht abhängig vom Erscheinen der Sammlung:

  • Werknutzungsrechte an Beiträgen in Zeitungen erlöschen unmittelbar nach dem Erscheinen,
  • Werknutzungsrechte an Beiträgen in anderen periodischen Sammlungen und
  • an Beiträgen in nicht periodischen Sammlungen, die der Urheber der Sammlung unentgeltlich überlässt, erlöschen ein Jahr nach Ablauf des Erscheinungsjahres.

Erscheint ein Beitrag zu einer Sammlung nicht innerhalb eines Jahres nach Ablieferung, so kann der Urheber dem Herausgeber oder Verleger der Sammlung die Nutzungsrechte wieder entziehen.

Das wissenschaftliche Zweitverwertungsrecht16 des (Mit-)Urhebers hängt zum einen vom (gedruckten) Erscheinen, zum anderen vom Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des wissenschaftlichen Beitrags ab.

Das Leistungsschutzrecht am nachgelassenen Werk17 entsteht erst mit seinem Erscheinen18.

Manche freien Werknutzungen19 setzen das Erscheinen des genutzten Werks voraus:

  • Freie Werknutzungen für Menschen mit Behinderungen;
  • die Nutzung von erschienenen Werken im Rahmen des Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauchs;
  • die freie Werknutzung von vertonten (Teil-)Sprachwerken im Zusammenhang mit dem zugehörigen Tonkunstwerk gegen angemessenes Entgelt;
  • die Verwertung von vertonten Sprachwerken u.a. in Programmheften und Beilagen zu Schallträgern;
  • der unentgeltliche öffentliche Vortrag oder die unentgeltliche öffentliche Wiedergabe von Sprachwerken;
  • freie öffentliche Aufführungen von Tonkunstwerken;
  • die freie Werknutzung verwaister Werke durch Sammlungen.

Der Zeitpunkt des Erscheinens von Bild- und Schallträgern ist in einigen Fällen maßgeblich für den Leistungsschutz der Schallträgerhersteller und ausübenden Künstler. Siehe zu den Schutzfristen: Wann endet der Urheberschutz?

Fußnoten

  1. Siehe Welche Zitate sind zulässig?
  2. Auch geschützte Leistungen wie Lichtbilder, Schallträger, Rundfunk und Datenbanken werden im Sinne dieser Bestimmung veröffentlicht.
  3. Ris-Justiz RS0105340, zuletzt OGH 21.04.1998, 4 Ob 101/98a – AIDS-Kampagne II – MR 1998, 341 (Walter) = ÖBl 1999, 54.
  4. Siehe Was ist urheberrechtlich geschützt?
  5. Siehe Dürfen Werke bearbeitet werden?
  6. Ciresa in Ciresa/Büchele/Guggenbichler/Thiele, Österreichisches Urheberrecht18 (2015) § 8 Rz 3f.
  7. ErlRV 64/Ge 1936, 122, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=spb&datum=0001&page=2020&size=45 (14.11.2022).
  8. Siehe Können geschützte Werke ohne Zustimmung des Berechtigten genutzt werden?
  9. Siehe Welche Zitate sind zulässig?
  10. Ciresa in Ciresa/Büchele/Guggenbichler/Thiele, Österreichisches Urheberrecht18 (2015) § 56a Rz 1.
  11. Siehe Können Werke unbekannter Urheber genutzt werden?
  12. § 9 UrhG.
  13. Siehe Kann ich mein Urheberrecht übertragen?
  14. Darunter sind Zeitungen, Zeitschriften, Jahrbücher, Almanache u. dgl. zu verstehen.
  15. Siehe Kann ich mein Urheberrecht übertragen?
  16. Siehe Darf ich meinen wissenschaftlichen Beitrag im Internet anbieten?
  17. Siehe Was ist urheberrechtlich geschützt?
  18. Walter in Walter, Europäisches Urheberrecht (2001) Schutzdauer-RL Art 4 Rz 16.
  19. Siehe Können geschützte Werke ohne Zustimmung des Berechtigten genutzt werden?