Dürfen vertrauliche Schriftstücke veröffentlicht werden?

Manfred Büchele, Lars Kerbler, Hans Strasser

 

Schriftstücke dürfen – abgesehen von ihrem urheberrechtlichen Charakter1– grundsätzlich veröffentlicht werden. Stehen der Veröffentlichung allerdings berechtigte Interessen des Verfassers oder des Adressaten entgegen, ist sie aufgrund des Briefschutzes unzulässig.2 Das ist insbesondere dann zutreffend, wenn die Privatsphäre dieser Personen betroffen ist.3

Wie auch der Bildnisschutz4 ist der Briefschutz eine persönlichkeitsrechtliche Spezialvorschrift des Urheberrechtsgesetzes („UrhG“). Gegenstand dieses Schutzes ist nämlich nicht das Schriftstück als schöpferisches Werk, sondern die ideellen Interessen des Verfassers und des Empfängers. Der urheber- oder leistungsschutzrechtliche Schutz ist davon unabhängig zu beurteilen.

Geschützte Aufzeichnungen

Anders als es seine Bezeichnung vermuten ließe, erfasst der Briefschutz neben Briefen auch Tagebücher und vergleichbare vertrauliche Aufzeichnungen. Eine Aufzeichnung ist jeder in Schriftform dargebotene gedankliche Inhalt; vertraulich ist sie dann, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Dies kann sowohl auf berufliche als auch private Schreiben zutreffen.5 E-Mails, SMS und sonstige elektronisch übermittelte Nachrichten sind zwar mangels Körperlichkeit keine Briefe, doch aber vergleichbare vertrauliche Aufzeichnungen.6

Beispiel
Veröffentlicht ein Pfarrer Transkripte von rechtswidrig hergestellten Tonaufnahmen, die vertrauliche Gespräche wiedergeben, so greift er dadurch grundsätzlich in den Briefschutz der aufgezeichneten Personen ein. 7

Öffentliche Zugänglichmachung

Bloßes Lesen fremder Briefe stellt noch keinen Eingriff in den Briefschutz dar, erst die Verbreitung des Inhalts einer Aufzeichnung durch öffentliches Zugänglichmachen kann einen Eingriff begründen. Der Begriff des öffentlichen Zugänglichmachens ist dabei sehr weit gefasst: eine Öffentlichkeit liegt bereits dann vor, wenn angenommen werden kann, dass die Aufzeichnung mehreren Personen zugänglich ist.8 Verbreitet wird ein Werk im Sinne des Briefschutzes durch jede Art9 öffentlichen Mitteilens, beispielsweise also auch durch öffentliches Vorlesen.10

Berechtigte Interessen des Verfassers und des Adressaten

Schutzwürdig sind nur solche Aufzeichnungen, deren Veröffentlichung berechtigte Interessen des Verfassers oder des Empfängers verletzen würde. Das sind insbesondere jene Interessen, die den Privatbereich betreffen (z.B. Aufzeichnungen, die Details über das Familienleben, die Gesundheit oder die sexuelle Orientierung enthalten). Daneben kann auch das inhaltliche Verfälschen einer Aufzeichnung berechtigte Interessen verletzen.11

Die Maßgeblichkeit dieser schutzwürdigen Interessen entspringt dem unterschiedlichen Zweck von Urheber- und Briefschutz: Während das Urheberrecht die wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten des Urhebers und seine persönliche Beziehung zu seinem Werk schützt, dient der Briefschutz der Abwehr von Eingriffen in die Privatsphäre des Verfassers und des Empfängers.

Die Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen fordert zuweilen auch eine Interessenabwägung: Ob das Informationsinteresse Dritter das berechtigte Geheimhaltungsinteresse der Beteiligten überwiegt, muss somit im Einzelfall beurteilt werden.12


Beispiel
Die Veröffentlichung eines Tagebuchs verstößt auch dann gegen berechtigte Interessen des Verfassers, wenn darin u.a. auch Details über den Verkauf einer Landesbank, deren zusätzlicher Finanzierungsbedarf später offenkundig wurde, enthalten sind. Obwohl hier zweifellos ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht, dürfen Textausschnitte über das Familienleben und den Gesundheitszustand des Verfassers dennoch nicht veröffentlicht werden. Hiefür besteht kein besonders legitimiertes Erkenntnisinteresse der Allgemeinheit, weshalb die berechtigten Interessen des Verfassers überwiegen.13
Quelle: Jan Kahánek/unsplash.com

Beispiel
Durch das öffentliche Vorlesen anwaltlicher Schriftsätze – gekürzt und in geänderter Reihenfolge, wodurch ein verzerrter Eindruck über den Inhalt der Schreiben entsteht – können die berechtigten Interessen des Verfassers verletzt werden. Der Anwalt kann sich insbesondere dann auf den Briefschutz berufen, wenn uninformierte Zuhörer durch die öffentliche Verbreitung zur Auffassung gelangen könnten, er handle den Interessen seiner Mandanten zuwider.14
Quelle: rawpixel/unsplash.com

Zustimmung zur Veröffentlichung

Hat der Verfasser seine Zustimmung zur Veröffentlichung erteilt, so wird hinsichtlich der Aufzeichnung nicht in den Briefschutz eingegriffen.

Handelt es sich um einen Brief, so ist ebenso die Zustimmung des Empfängers erforderlich.15 Die betroffenen Personen können ihre Einwilligung sowohl schlüssig als auch ausdrücklich erklären.


Beispiel
Wird ein kritischer Leserbrief an eine Zeitung gesendet, so stimmt der Verfasser schlüssig der – mitunter gekürzten – Veröffentlichung des Briefes zu.16
Quelle: Delwin Steven Campbell/flickr.com

Der Briefschutz Hinterbliebener

Nach dem Tod des Verfassers können sich dessen nahe Angehörige auf den Briefschutz stützen, wenn ihre eigenen berechtigten Interessen verletzt werden. Berechtigte Interessen der Hinterbliebenen sind unter anderem jene, die schon zu Lebzeiten des Verfassers als seine eigenen geschützt gewesen wären. Hat der Verfasser einer Veröffentlichung selbst zugestimmt, können sich die Hinterbliebenen nach dessen Ableben nur auf eine Verletzung ihrer eigenen berechtigten Interessen berufen.

Der Schutz kommt den nahen Angehörigen zu, worunter das Gesetz Verwandte in auf- oder absteigender Linie sowie überlebende Ehegatten oder Lebensgefährten versteht.

Ansprüche aus dem Briefschutz

Werden geschützte Personen in ihren Rechten aus dem Briefschutz verletzt, so besteht Anspruch auf

  • Unterlassung des Eingriffs,
  • Beseitigung des rechtswidrigen Zustands sowie
  • Urteilsveröffentlichung bei stattgebendem Urteil.

Geschädigte haben darüber hinaus auch Anspruch auf Schadenersatz, was auch den entgangenen Gewinn umfasst.17

Siehe zu den Rechtsfolgen des Urheberrechtsgesetzes: Welche Rechtsfolgen sieht das Urheberrecht vor?

Fußnoten

  1. Zu den Voraussetzungen des urheberrechtlichen Schutz siehe: Was ist urheberrechtlich geschützt?
  2. Kodek in Kucsko/Handig, urheber.recht2 (2017) § 77 Rz 13.
  3. Kodek in Kucsko/Handig, urheber.recht2 (2017) § 77 Rz 37.
  4. Siehe Dürfen Personenbildnisse ohne Zustimmung der Abgebildeten veröffentlicht werden?
  5. Thiele in Ciresa, Österreichisches Urheberrecht19 (2017) § 77 Rz 18.
  6. Thiele in Ciresa, Österreichisches Urheberrecht19 (2017) § 77 Rz 22.
  7. OGH 20.12.2011, 4 Ob 160/11z, MR 2012, 65 (Thiele) = ecolex 2012/183, 412 (Barnhouse).
  8. Siehe RIS-Justiz RS0113458, zuletzt OGH 22.05.2007, 4 Ob 73/07z – Aktionistische Maßnahmen – RdW 2007/533, 513 = wbl 2007/228, 502 = MR 2007, 177.
  9. Damit unterscheidet sich der Begriff des Verbreitens vom verwertungsrechtlichen Verbreitungsrecht des § 16 UrhG. Siehe dazu im Detail: Welche Möglichkeiten bestehen, um ein Werk wirtschaftlich zu nutzen?
  10. Kodek in Kucsko/Handig, urheber.recht2 (2017) § 77 Rz 25 ff.
  11. Thiele in Ciresa, Österreichisches Urheberrecht19 (2017) § 77 Rz 52.
  12. Kodek in Kucsko/Handig, urheber.recht2 (2017) § 77 Rz 34 f.
  13. OGH 12.04.2011, 4 Ob 3/11m – Der Deal – MR 2011, 127 = ÖBl 2011, 232 (Büchele).
  14. LG Wien 20.11.1981, 4 R 211/81, ÖBl 1982, 55.
  15. Thiele in Ciresa, Österreichisches Urheberrecht19 (2017) § 77 Rz 67.
  16. OGH 10.11.1970, 4 Ob 346/70, ÖBl 1971, 88.
  17. Vgl Kodek in Kucsko/Handig, urheber.recht2 (2017) § 77 Rz 49 ff.